Ökologisch sinnvolles Nichtstun

„Waldsterben 2.0“, „Der Klimawandel vernichtet unsere Wälder“, „Waldsterben: unserem Wald geht’s richtig dreckig“. So lautet der einhellige Kommentar von Medien, Forstbranche, aber auch Naturschutzverbänden zu den Auswirkungen der vorangegangenen trockenen Jahre auf unsere Wälder. Auch das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Regen fürchtet, dass 2020 ein Borkenkäferjahr wird. „Alle Weichen sind derzeit auf katastrophales Jahr gestellt“, gab Stefan Schaffner, der Bereichsleiter Forsten des AELF Regen, schon im zeitigen Frühjahr bekannt. Er verwies auf das zu warme und trockene Frühjahr, welches für den Borkenkäfer optimale Bedingungen bot, schon früh ins Jahr zu starten – und dann weiter an der Fichte und damit der Grundlage der heimischen Forstwirtschaft zu fressen.
Denn die hat allzu lang auf die Fichte als „Brotbaum“ gesetzt, mit der sich trotz aller Widrigkeiten wie Borkenkäfer oder Windwurfanfälligkeit gutes Geld verdienen ließ.Die Quittung bekommen wir jetzt mit der Klimaerwärmung geliefert. Mit dieser Herausforderung sind wir aber nicht allein. So trifft ein Nadelholzvorrat, der weltweit noch nie so hoch war, auf steigende Temperaturen: ideale Bedingungen für Insekten wie den Borkenkäfer und eher trübe Aussichten für eine Baumart wie die Fichte, die ursprünglich aus dem kühlen Norden kommt. Aber nicht nur die Fichte ist betroffen. Eine aktuell im Wissenschaftsmagazin Science erschienene Studie beschreibt, wie die Hitzesommer 2018 und 2019 den Wäldern Mitteleuropas zugesetzt haben. Unvergessen sind auch die riesigen flächigen Waldbrände in Australien, die ebenfalls die Klimaerwärmung bezeugen. Die Analysen der Studie zeigen zudem, dass wir gerade eine Entwicklung von überwiegend positiven Effekten des globalen Wandels, wie etwa verstärktes Baumwachstum durch steigenden CO2-Gehalt in der Atmosphäre, hin zu einem Dominieren der negativen Effekte wie Waldbrände, Insektenschäden, Windwurf­ereignisse und Dürren erleben; diese nehmen im Klimawandel an Häufigkeit und Stärke zu, betont einer der Autoren der Studie, Rupert Seidl, Professor für Ökosystemdynamik und Waldmanagement an der Technischen Universität München.
Laut der Studie geht die Zukunft des Waldes in Richtung kleinere Bäume, da diese leichter ihre Blätter mit Wasser versorgen können als große, offenere Bestände und niedrigere Biomasse. Wie sich das Ganze auf die Leistungen des Waldes wie etwa die Filterung von Wasser auswirken wird, steht noch in den Sternen. Sicher kann man auf jeden Fall sagen, dass die Folgen des Klimawandels die Bewirtschafter des Waldes vor riesige Herausforderungen stellen werden. Auch im Bayerwald. Die Sommer 2017 bis 2019 waren auch im Bayerischen Wald Dürresommer. Wenn es geregnet hat, dann meist in Form von lokalen Schauern und Gewittern, was einfach zu wenig war. Erschwerend kommt dann hinzu, wenn die Schneeniederschläge im Winter und folglich die Schneeschmelze gering ausfallen.
Welchen Wald werden wir in Zukunft haben? Forstexperten und Waldbauern sind sich einig darüber, dass der Wald umgebaut werden muss, soll er mit den Folgen des Klima­wandels zurechtkommen. Also weg mit der Fichte, der nur noch in höheren Lagen wie dem Bayerischen Wald Chancen eingeräumt werden. Doch welche Bäume sind geeignet und bringen auch noch wirtschaftlichen Nutzen? Da das Interessante an der Zukunft ist, dass niemand sie vorhersagen kann, wird munter gegrübelt und experimentiert. Manche Forstexperten wie Hans Joachim Klemmt, Leiter der Abteilung Boden und Klima der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, finden, dass im Wald der Zukunft auch viele Arten stehen werden, die man bis jetzt eher in Gärten und Parks vorfindet: Esskastanie, Flaumeiche, Robinie, Roteiche oder Wildkirsche.
Dass das alles nicht so einfach und ein Waldökosystem ziemlich komplex ist, zeigt z.B. die Esskastanie, die aus dem Mittelmeerraum kommt und daher mit steigenden Temperaturen gut zurecht kommt. Dafür mögen Gallwespen sehr gerne ihre Blätter und schädigen auch ihre Früchte. Zudem gilt der Baum als spätfrostempfindlich. Wer sich die Spätfrostschäden anschaut, die dieses Jahr die heimischen Buchen in den höheren Lagen durch die Eisheiligen im Mai erleiden mussten, kann sich vorstellen, wie Bäume aus dem Mittelmeerraum nach derartigen Ereignissen aussehen.
Klimaresistenz kann also nicht das all­einige Kriterium sein. Aber wie schaut es mit den heimischen Baumarten aus? Diese müssen sich gerade in einem Gewaltakt an das sich erwärmende Klima und seine Nebeneffekte anpassen. Burkhard Beudert vom Nationalpark Bayerischer Wald hat herausgefunden, dass die Buchen im Nationalpark mittlerweile rund einen (!) Monat früher austreiben als vor 50 Jahren. Früher haben sie erst nach zum Teil empfindlichen Spätfrösten Ende Mai ausgetrieben, heute verführen die warmen Temperaturen sie schon im April zum Austrieb; bei den Eisheiligen bezahlen sie dafür mitunter mit deutlich sichtbaren Schäden.
Der Wald und vor allem die Förster sind wohl wieder an einem Scheideweg. Ähnlich wie vor rund 300 Jahren, als man in Folge von Übernutzung ganz Deutschland fast komplett entwaldet hatte und der Berg­hauptmann Carl von Carlowitz das Motto der nachhaltigen Forstwirtschaft erfand: Es soll nur immer so viel Holz geschlagen werden, wie auch nachwächst. Dies hat zumindest dahingehend funktioniert, dass deutschlandweit wieder Wälder entstehen konnten. Von der Fichte als schnell wachsendem Baum konnte man schon damals freilich nicht lassen. Im 19. Jahrhundert wurde mit der Bodenreinertragslehre ein System entwickelt, in dem die Fichte das Maß aller Dinge war. Und genau diese Bestände kollidieren mit steigenden Temperaturen und Massen an Borkenkäfern.
Für den planmäßig vorgehenden Förster wird es immer schwieriger, mit seinem Waldbau in die Zukunft zu blicken, da mit der zunehmenden Zahl von Katastrophen wie Windwürfe oder Dürresommer seine Pläne regelmäßig über den Haufen geworfen werden. Von unserer eher statischen Sicht auf die Forstwirtschaft werden wir uns wohl verabschieden müssen, um der Dynamik mehr Raum zu lassen. Auch wenn uns das schwer fallen wird: Für die Natur ist es kein Beinbruch. Dies lässt sich heute schon im Nationalpark Bayerischer Wald beobachten, wo die natürliche Dynamik wieder interessante Wälder entstehen lässt, die zudem mit einer steigenden Anzahl an Urwaldrelikt­arten und weiteren positiven Einflüssen auf die Artengemeinschaften aufwarten können.
Wahrscheinlich reicht die gute alte Försternachhaltigkeit von Carlowitz heute nicht mehr aus, um den Herausforderungen des Klimawandels gerecht zu werden. Eine Möglichkeit wäre, das derzeit in Massen anfallende Totholz in unseren Wäldern zu lassen als Wasserspeicher und Nährboden für eine neue Waldgeneration, anstatt es, wie von einigen gefordert, in umgerüsteten Kohlekraftwerken zu verfeuern.
Die millionenschweren Hilfsprogramme und Aufforstungspläne der Politik schauen oft schwer nach Aktionismus aus. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt, in sich zu gehen und einen neuen Nachhaltigkeitsgedanken zu formulieren! Einen, in dem den Waldöko­systemen mehr Platz für ihre natürliche Dynamik gelassen wird. Einen, in dem Wald­besitzer für ein ökologisch sinnvolles Nichtstun belohnt werden und nicht für das Anliefern von Holz in ehemalige Kohlekraftwerke. Der Wald würde es uns danken.


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