"Widerstand gegen die Corona-Diktatur"
Seit Beginn der Corona-Krise haben sich an vielen Orten Initiativen zusammengeschlossen, um ihren Unmut über die Gesundheitsschutzmaßnahmen der Regierung auf die Straße tragen. Die Klientel der „Corona-Rebellen“ und „Querdenker“ ist politisch und soziodemographisch äußert heterogen, es wird jedoch immer deutlicher: Konstruktive Kritik oder relevante Diskursbeiträge zu den Maßnahmen sucht man bei den Protesten inzwischen vergeblich. Vielmehr haben unter dem Thema Corona altbekannte extrem rechte Akteure und neue Gesichter zusammengefunden, die in einer Mischung aus Narzissmus und reaktionären Weltanschauungen ihre Chance auf Selbstverwirklichung und Rebellion wittern. Inzwischen erklären sie selbst ganz offen, dass es ihnen schon lange nicht mehr nur um Corona geht. Die Kritik an den Maßnahmen der Regierung wurde weitgehend von Systemsturzphantasien und offener Demokratiefeindlichkeit abgelöst.
Deggendorf
In Deggendorf versammeln sich zeitweise im Wochentakt bis zu 60 Personen aus den Reihen der NPD, der Partei „Der III. Weg“, neonazistischer Kameradschaften, der Autonomen Nationalisten und der AfD sowie Bürgerinnen und Bürger aus alternativen Milieus und der Mitte der Gesellschaft ohne einschlägige politische Historie. Organisatorisch dominiert werden die Proteste von der extremen Rechten, die sich auch ganz offen zeigt. Entsprechende Symbole, Tattoos, Kleidungsmarken und Parolen sind allgegenwärtig, einmal trug ein Teilnehmer gar eine Gesichtsmaske mit dem Konterfei Adolf Hitlers.
Vor Ort wird immer wieder das vermeintliche Versagen der Regierungsparteien beklagt und es werden Mechanismen der Täter-Opfer-Umkehr bedient, wenn sich die Protestierenden als „politisch Verfolgte im Widerstand gegen die Corona-Diktatur“ inszenieren. Ihre Reichweite erhöhen die Deggendorfer Protagonisten durch eine Art Veranstaltungs-Franchise in anderen niederbayerischen Städten. In Plattling veranstalteten sie einen als St. Martins-Umzug getarnten Fackelmarsch zum Kriegerdenkmal, und bei einer von ihnen organisierten Kundgebung Ende Oktober in Dingolfing agitierten sie vor rund 200 Teilnehmern gegen das „Corona-Unrecht“. Als Stargast an jenem Tag sprach der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka, der keine Berührungsängste zu den Neonazis zeigte.
Überhaupt lässt sich immer wieder beobachten, dass bei den „Corona-Rebellen“ unter Parolen wie „In der Sache vereint!“ bekannte Neonazis, Politiker der AfD und Kräfte aus einem vermeintlich bürgerlich-demokratischen Spektrum Hand in Hand zusammenarbeiten.
Landshut und Passau
In Landshut und Passau organisierten sich die „Corona-Rebellen“ relativ schnell unter festen Labels wie „Querdenken 871“ und „Für die Freiheit 2020“ sowie „MWGDF e.V.“. Diese seit Mai aktiven Initiativen sind überwiegend von neuen Gesichtern aus der bürgerlichen Mitte geprägt. Mittels der Organisation eventartiger Kundgebungen arbeiteten sich ihre führenden Köpfe in den vergangenen Monaten an die Spitze der bayerischen „Corona-Rebellen“-Szene. Doch sachorientierte Inhalte, eine fundierte Kritik an den Maßnahmen oder gar Lösungsansätze sucht man auch hier vergebens. Stattdessen werden einfache Erklärungsmuster geboten und es wird penetrant, teils aggressiv auf vermeintlich entlarvende Beweise für große Verschwörungen verwiesen.
Die Proteste richten sich gegen die „Idiotie des Mainstreams“, die „Diktatur der Bayerischen Staatsregierung“ oder gleich gegen die „Weltherrschaftspläne von Bill Gates und geheimen Mächten“. Die Thesen der „Corona-Rebellen“ handeln von der Nicht-Existenz des Virus, der Pandemie als „Plandemie“ und der Annahme einer großen Verschwörung ökonomischer oder politischer Eliten, die im klassischen Stil einer „jüdischen Weltverschwörung“ gezeichnet wird. Sie gipfeln in wahnhaft wirkenden Szenarien von Zwangsimpfungen zur Bevölkerungsreduktion und Versklavung durch Chippung und DNA-Manipulation. Je existenzieller die heraufbeschworene Bedrohung, desto klarer leitet sich für die „Corona-Rebellen“ ein ‚Recht auf Widerstand gegen das Unrechtsregime‘ und die Notwendigkeit eines „Systemsturzes“ ab.
Die Gefahr, die von der völlig unkritischen Übernahme und kontinuierlichen Verbreitung solcher Inhalte und Narrative ausgeht, spiegelt sich in der zunehmend beobachtbaren Radikalisierung ihrer Vertreter wieder. Blanker Hass gegenüber allen als Feinden markierten Personen, grundlegendes Misstrauen und offene Ablehnung der Demokratie und ihrer rechtsstaatlichen Institutionen und Prozesse sind Ergebnis und Ausdruck dessen.
Abschottung und Daueraktivismus
Für sachliche Argumente zeigen sich die „Erwachten“ ab einem bestimmten Punkt nicht mehr empfänglich. Kritik an ihnen diene allein der Spaltung und Verunsicherung der Bewegung, heißt es dann. Wer das Offensichtliche nicht erkenne, sei ein „Schlafschaf“ und Teil des Problems.
Durch diese Immunisierung gegen Kritik und Abschottung werden Radikalisierungsprozesse weiter beschleunigt und Interventionen erschwert. Die sinkende Anschlussfähigkeit der „Corona-Rebellen“ und ihre zunehmende Abgrenzung nach außen wirken selbst-bestärkend und identitätsprägend für ihr soziales Gefüge. Trotz der breit gestreut wirkenden Organisation von Protesten scheint die Bewegung der „Corona-Rebellen“ zunehmend auf einen harten Kern an Organisatoren, Rednern und Teilnehmern zusammenzuschmelzen. Diese touren mit ihren Kundgebungen von Stadt zu Stadt, wo sie die Programme ihrer ewig gleichen Happenings abspulen. Die Aktiven der Bewegung bilden eine Art Blase, innerhalb derer sie sich gegenseitig als „Helden des Widerstands“ feiern.
Über den Messengerdienst Telegram tauschen sie Tipps für nächtliches Plakatieren oder für Performance-Art-Aktionen ebenso wie Adressen attestwilliger Ärzte und klagewilliger Anwälte. Tricks und Bastelanleitungen zur Umgehung der Maskenpflicht wechseln sich mit Videos ab, in denen der Holocaust geleugnet wird oder antisemitische Verschwörungsideologien von der „New World Order“ verbreitet werden. Stolz wird davon berichtet, in welchen Geschäften nach Drohungen gegen das Personal ein maskenloser Einkauf möglich war oder welche lokalen Verwaltungsmitarbeiter oder Politiker mit Protestbekundungen zu überhäufen seien.
Radikalisierung im Netz und Gewalt auf der Straße
Drohbriefe wie beispielsweise gegen den Passauer Landrat und Morddrohungen gegen den Weidener Bürgermeister wegen deren Haltungen zur Corona-Politik werden häufig ebenso als legitime Mittel der Auseinandersetzung betrachtet wie Angriffe auf Journalisten und Maskenträger. Diese Entwicklung zeigt, welche Konsequenzen die zeitweise Verharmlosung einer Bewegung mit sich bringen kann, die ihre zunehmende Radikalisierung und Gewaltaffinität durch ein vermeintliches „Widerstandsrecht“ legitimiert sieht.
Auch bundesweit sind die niederbayerischen „Corona-Rebellen“ unterwegs. Auf den per Shuttlebus angesteuerten Großdemos in Leipzig und Berlin fielen auch bei einigen der ostbayerischen „Corona- Rebellen“ alle Hemmungen. Im Schutz der vermeintlichen Anonymität werden Versammlungsauflagen ignoriert und Schulter an Schulter mit Neonazis und Hooligans Polizeiabsperrungen durchbrochen, wovon die führenden Köpfe niederbayerischer Corona-Proteste anschließend stolz bei Telegram berichten. Vermeintlich brave Familienväter und besorgte Mütter aus der Region posten Fotos, auf denen sie mit Sinnsprüchen der Wehrmacht vor dem Brandenburger Tor posieren.
Fazit
Aufgrund fehlender Abgrenzung war die extreme Rechte von Beginn an integraler Bestandteil der Corona-Proteste und konnte im Laufe der Monate mit ihren Inhalten auch zuvor unbedarfte Teilnehmer erreichen. Personen, die lediglich aus Angst vor den ökonomischen Folgen der Krise oder um ihr Soziallaben auf die Straße getrieben wurden, halten sich mittlerweile weitgehend fern.
Es bleibt abzuwarten, ob es der Bewegung weiterhin gelingt, sich trotz ihrer Inhalte als Teil der bürgerlichen Mitte zu inszenieren. Sie als legitime Stimme im demokratischen Meinungsspektrum zu betrachten, ignoriert die zunehmenden Umsturzphantasien und den virulenten Antisemitismus. Wer Demokratie und Rechtsstaat gewaltsam überwinden will, dem muss kritisch begegnet werden, auch wenn er sich instrumentell und selektiv auf Grundrechte und den Begriff der Freiheit bezieht.
KATHARINA FUCHS und JAN NOWAK
Katharina Fuchs und Jan Nowak arbeiten für die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern und sind schwerpunktmäßig für die Bezirke Niederbayern und Oberpfalz zuständig. Weitere Informationen: www.lks-bayern.de
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