Nachwuchs-Sonderpreis: Heinrich Eiglsperger

Einen Beitrag, der zwar nicht mit einem der drei Preise im Kurzgeschichtenwettbewerb "Mehr Licht!" ausgezeichnet wurde, der aber trotzdem aus den Einsendungen hervorstach, prämierte die Jury mit einem Sonderpreis.

Der Bewerbungszeitraum für den Schreibwettbewerb reichte bis in den März 2020, einige der Einsendungen beschäftigten sich daher ganz aktuell mit der Corona-Situation und den Ausgangsbeschränkungen. Der erst 15-jährige Schüler Heinrich Eiglsperger führt uns nach China: Er versetzt sich mit erstaunlicher Nähe in einen Arzt in Wuhan hinein, dem zum ersten Mal die mysteriöse Krankheit begegnet. "Dass sich ein so junger Autor ausgerechnet das aktuellste, weltweit relevanteste Thema aussucht und es dann auch noch auf eine Weise darstellt, die Raffinement und Einfühlungsvermögen beweist, ist höchst bemerkenswert", wertete Bernhard Setzwein den Text.

Heinrich Eiglsperger ist im Juli 2004 geboren. Er wohnt in Straubing und besucht dort das Anton-Bruckner-Gymnasium. Seine Deutschlehrerin wies ihn auf unseren Wettbewerb hin. Eiglsperger liest nicht nur gerne, sondern spielt auch Violoncello. Er spielt im Bayerischen Landedsjugendorchester und ist Bundespreisträger des Wettbewerbs "Jugend musiziert".

Verdunkelte Erkenntnis

von Heinrich Eiglsperger

Es war eng. Um mich herum standen dicht gedrängt zahllose Menschen. Ich spürte den warmen Atem meines Hintermanns im Nacken, worauf sich Gänsehaut auf meinem Rücken ausbreitete. Aber so sind nun mal die U-Bahnen in Wuhan. Dafür ist es wenigstens nicht sehr laut. Die meisten Menschen blicken konzentriert auf ihr Handy, hören mit Kopfhörern Musik und scheinen ihre Umwelt dabei kaum wahrzunehmen.

Endlich hatte ich meine Haltestelle erreicht und quetschte mich mit der Menschenmasse aus dem Wagon. Als ich die Treppen zum Ausgang hochstieg, nahm ich mehr und mehr den Lärm der Autos wahr, die im zähen Innenstadtverkehr fuhren. Ich trat heraus ans Tageslicht und konnte kaum 50 Meter weit sehen. Der allgegenwärtige Smog nebelte die ganze Stadt ein. Ich trug immer Mundschutz, weswegen ich den Abgasgeruch nur mäßig wahrnahm. Dennoch erzeugte er ein leichtes Kratzen in der Nase.

Endlich kam ich zum Krankenhaus. Es war ein schönes Gebäude mit hochmoderner Architektur, bei der ich jeden Tag von neuem zu staunen begann, obwohl ich hier schon mehrere Jahre Arzt war.

"Guten Morgen", begrüßte ich meine beiden Sprechstundenhilfen Tian und Lien. Sie nickten mir zu und machten sich gleich wieder an die Arbeit. Das Wartezimmer war wieder voll mit Patienten. Ich betrat mein Zimmer, nahm den Mundschutz ab, desinfizierte meine Hände und zog meinen weißen Kittel an, um mich auf die vielen Arbeitsstunden zu stürzen, die vor mir lagen. Einem Patienten nach dem anderen verschrieb ich dieses und jenes Medikament. Ich behandelte wie immer jeden mit größter Sorgfalt.

Gegen 17:00 Uhr betrat ein kreidebleicher Mann das Zimmer. Ich bat ihn sich hinzulegen, da er offensichtlich kaum noch mehr die Kraft hatte, aufrecht zu stehen. Er hatte hohes Fieber und sehr starken Husten. Ich tippte zuerst auf die Grippe, doch die Tatsache, dass der Mann Mühe hatte, zu atmen, machte mich stutzig. Ich begann, über die seltsamen Symptome nachzugrübeln.

Lautes Keuchen und Husten ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Der Mann auf der Liege wand sich vor Schmerzen und bekam kaum mehr Luft. Nun musste ich schnell handeln.

„Tian! Lien! Kommt schnell her. Wir haben einen Notfall!“

Ich schickte die eine los, um die Intensivstation vorzubereiten und den anderen nach einer fahrbaren Trage, während ich versuchte, den Patienten zu beruhigen. Als der Assistent zurückkam, hievten wir der Mann, der mittlerweile nur noch röcheln konnte, gemeinsam auf die Liegefläche und rannten in die Intensivstation.

Dort wartete man schon mit der Beatmungsmaschine auf uns. Ich presste dem Kranken die Maske auf den Mund und als das Gerät aktiviert wurde, kam er endlich zur Ruhe und entspannte sich. Ich war schweißgebadet und beruhigte mich nur langsam.

Der Patient stand nun unter intensiver Beobachtung. Ich besuchte ihn in der Folge mehrmals am Tag, um mehr über seine Krankheit zu erfahren. Sämtliche grippalen Infekte konnte ich ausschließen. Die wären nicht so ausgeprägt und hätten sich schon längst wieder abgeschwächt. Und genau das war der Punkt, der mich so verwunderte und besorgte. Der Mann zeigte keine Anzeichen der Besserung, sein Zustand blieb zu jeder Zeit gleich kritisch. Wir zögerten beim Anwenden von Medikamenten, da wir uns aufgrund der Unbekanntheit der Krankheit über deren Wirkung nicht im Klaren waren. Mehrere Tests, die ich im Laufe der Zeit durchführte, wiesen auf ein Virus hin, das mir bislang gänzlich neu war. Sehr große Sorge bekam ich allerdings, als am fünften Tag nach dem Ereignis eine weitere Person mit dem Krankenwagen eingeliefert wurde, die exakt die gleichen Symptome aufwies und nach weiteren Untersuchungen auf das gleiche Virus schließen ließen.

Zwei Tage später war die Zahl der Erkrankten auf vier gestiegen.

Ich fühlte mich hilflos. Die Neuartigkeit und Schwere der Krankheit erschreckten mich. Also beschloss ich die Fälle beim Gesundheitsministerium zu melden. Doch die Antwort lautete schlicht, ich sollte die Patienten im Auge behalten.

Wenige Tage später waren es schon sieben Menschen, die sich mit dem unbekannten Virus infiziert hatten. Sie zeigten durchwegs schwere Symptome und wir kamen langsam an die Grenzen unserer Kapazitäten. Ich richtete nochmals eine Nachricht an die staatliche Behörde mit der Betonung, dass mein Anliegen von größter Dringlichkeit sei. Ich bekam keine Antwort.

Es verging nun kein Tag mehr, an dem kein neuer Kranker hinzukam. Wir mussten inzwischen Patienten mit anderen Krankheiten wieder nach Hause schicken. Ich kam immer mehr zu der Gewissheit, dass dies der Anfang einer unaufhaltsamen Welle sein würde. Deswegen begann ich, meine Warnungen an weitere Stellen zu richten: den Bürgermeister, Kollegen aus anderen Krankenhäusern und den lokalen Parteivorsitzenden.

Nach einem weiteren erfolglosen Arbeitstag, an dem ich wieder nichts Neues über die sonderbare Krankheit herausgefunden hatte, trat ich sehr müde und niedergeschlagen den Heimweg an. In der der U-Bahn sah ich die anderen Mitfahrer an und fragte mich, wer von ihnen bereits Träger des neuen Erregers sein konnte. Die Enge und die stickige Luft bedrückten mich wie nie zuvor. Mir wurde immer klarer, dass die Fälle unbedingt von einer höheren Stelle registriert und bearbeitet werden sollten. Ansonsten würde eine Katastrophe über uns hereinbrechen.

Ich erreichte die Tür meines Apartments und zog gedankenverloren meinen Schlüssel aus der Tasche. Doch die Haustür war offen. Mir lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Waren das etwa Einbrecher? Hatte man mich beraubt?

Vorsichtig schob ich die Tür ein kleines Stück auf und spähte in die Wohnung. Ich trat leise ein und plötzlich machte jemand das Licht an. Ich blinzelte und erkannte fünf Männer in Uniform. Drei davon hatten ein Maschinengewehr. Ein breitgebauter Mann hielt mir seinen Ausweis vor die Nase und blaffte: "Mitkommen, Sie sind verhaftet!"

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