Richard W. Dill: Niederbayern 1848

Über die schwierigen Anfänge der Demokratie – die niederbayerischen Abgeordneten in der Paulskirche, Geleitwort von Hans Jochen Vogel, Broschur, 256 S., mit 10 s/w-Fotos,  16,80 Euro, ISBN 978-3-929517-82-8

Der Historiker Richard W. Dill geht auf Spurensuche in Niederbayern: Wer waren die neun Vertreter Niederbayerns 1848 in der ersten deutschen Nationalversammlung? Dill  porträtiert in einer erfrischenden Sprache und mit leiser Ironie diese frühen Abgeordneten und ihre Nachrücker.

16,80 €

Inhalt.

Der Historiker Richard W. Dill geht auf Spurensuche in Niederbayern: Wer waren die neun Vertreter Niederbayerns 1848 in der ersten deutschen Nationalversammlung? Dill  porträtiert in einer erfrischenden Sprache und mit leiser Ironie diese frühen Abgeordneten und ihre Nachrücker, lässt sie in ihren Wahlkämpfen und vor allem im Parlament, der Frankfurter Paulskirche, zu Wort kommen. Es gibt noch keine politischen Parteien, aber Vorformen dazu. Der politische Katholizismus, prägend für lange Zeit in Bayern, macht seine ersten Stemmübungen. Grundrechte wie die Presse- und die Religionsfreiheit müssen erst  erkämpft werden, die Demokratie steckt noch  in den Anfängen.

Richard W. Dills Buch ist eine lebendige Studie zu diesem Aufbruch in der bayerischen Provinz.


Dr. Richard W. Dill, geb. 1932 Nürnberg, Studium Geschichte und Öffentl. Recht, arbeitete unter anderem für das BR-Fernsehen, das Medienreferat Unesco in Paris, in der ARD-Programmdirektion, als Beauftragter der Europäischen Rundfunkunion EBU für Bosnien-Herzegowina. Umfassende internationale Consulting- und Lehrtätigkeit, u.a. Gastprofessuren Duke University, Durham, NC, USA, und HFF Potsdam-Babelsberg.

Lebte lange auf einem Bauernhof in Niederbayern, seit einigen Jahren wieder in München. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Büchern.

 

Inhalt:

Geleitwort von Hans Jochen Vogel

Wovon dieses Buch handelt

Wie das Jahr 1848 in Bayern ankam
Wahlen für eine deutsche Nationalversammlung: Elf aus Niederbayern auf dem Weg in die Paulskirche
Wahlbezirk Straßkirchen: ein historischer Fund von Wahlakten
Straubing im Wahlkampf: Arndts gegen Eisenmann
Unerhört! Nationale Liberale fechten die Wahl in Straubing an
Pfarrkirchen wählt K. Ostermünchner, den „Bräu“ von Griesbach
Landrichter Franz Seraph Hofer – Nachrücker für Pfarrkirchen
Johann Baptist v. Zenetti – eine Familie mit Wurzeln im Friaul
Landshut zwischen Schwarz-Rot-Gold und Weiß-Blau
Von der bayerischen auf die Frankfurter Bühne – Zenetti und die „Centralgewalt“
Passau als Bollwerk der Königstreue: Beisler und Haubenschmied
Landau, Abensberg und Deggendorf stärken den politischen Katholizismus
Die Debatte um Religion, Menschenrechte und Konfessionsschule
Der Abgeordnete von Wolfstein: Friedrich Freiherr v. Wulffen
Die dänische Krise – Haubenschmied muss sich rechtfertigen
Bayern im Konflikt zwischen Großdeutsch und Kleindeutsch
Bayern räumt auf und stellt die alte Ordnung wieder her

Schlussbemerkung: War alles vergebens?
Wahltabelle der Wahlen von 1848 in Niederbayern: Wahlkreise, Abgeordnete, Stellvertreter

Literaturverzeichnis

 

Vorwort:

Die Bewegung von 1848 gehört zu den am besten ausgeleuchteten und höchst umfassend dokumentierten Perioden der deutschen Geschichte. Das liegt vor allem daran, dass sie bei historisch Interessierten bis heute unsere Anteilnahme erweckt, eine Anteilnahme, die sich in Sympathie und Antipathie ausdrückt. Immer wieder versucht sich die Geschichtswissenschaft als objektiv und emotionsfrei zu präsentieren. Es gehe immer nur um die Sache und darum, darzustellen „wie es wirklich gewesen ist“. Das ist aber nicht möglich und gelingt auch nur sehr selten. Warum auch? Warum sollten die Leidenschaften und Parteinahmen, die das Tagesgeschäft bestimmen, im Blick auf das Vergangene auf einmal ausgelöscht sein? Ich kenne kaum historische Texte, die nicht von Parteinahme bestimmt sind und habe in meiner Bibliothek noch unfassbar verbohrte Geschichtsbücher aus meiner Schulzeit im Dritten Reich, mit denen ich dies belegen kann. Solange jemand nicht verhehlt, wofür er eintritt und nicht Unparteilichkeit vorgaukelt, wo keine ist, wäre an Emotionalität für die und in der Geschichte nichts auszusetzen.

Ich bekenne, dass meine Sympathie der 48er Bewegung gehört. Wer an der deutschen Geschichte der letzten 160 Jahre leidet, wer Schwierigkeiten hat, in Bismarck den größten Deutschen zu sehen, wer die Reiche von Wilhelm II. und Hitler als historische Missbildungen ansieht, atmet beim Blick auf den Aufbruch von 1848 auf. Wovon damals geträumt, phantasiert wurde, was damals geplant, diskutiert, formuliert wurde, konnte zwar noch lange unterdrückt werden, ist aber heute unsere keineswegs ideale, immer wieder gefährdete, aber dennoch handfeste und lebbare demokratische und zivilgesellschaftliche Wirklichkeit.

Ich besitze den Pass eines Münchner Handwerkers von 1843 mit den Ein- und Ausreisestempeln für eine Reise von München ins Ausland: nach Stuttgart. Wir haben heute Republik und Demokratie, freie Wahlen, Pressefreiheit, Glaubensfreiheit, Gedankenfreiheit und alle verwandten Freiheiten, die damals gotteslästerlich und staatsfeindlich erschienen. Deswegen lese und schreibe ich gern von einer Zeit der anbrechenden Normalität, in der Deutschland im Begriff war, ein Staat wie viele andere zu werden und auch Chancen hatte, ein solcher zu bleiben.

Die damalige 48er Bewegung ist gescheitert, aber sie war nicht vergebens. Wir haben, erstens, eine deutsche Einheit, die täglich auf die Probe gestellt wird und wir lernen auf dem Weg nach Europa erneut kennen, welche Widerstände, Einwände und Sabotageakte beim Zusammenschluss von Ländern und Regionen in Rechnung gestellt und überwunden werden müssen.

Wir haben zweitens eine demokratische Verfassung mit Grundrechten, die wir zum Teil wörtlich aus den Texten und Entwürfen von 1848 übernommen haben.

Und drittens erteilt uns das Jahr 1848 anschaulichsten Unterricht in deutscher Geschichte, ihren Chancen und Unverträglichkeiten. An den Details von Lebensumständen niederbayerischer Urwähler und Volksvertreter lassen sich deutsche Ursprünge, Verflechtungen und Befindlichkeiten aufzeigen und ableiten, die in vielem eindringlicher sind als die Lektüre fürstlicher Familienstammbäume.

1848 befinden wir uns, was die bayerische Geschichte angeht, in einem spannenden Übergang. Es gibt noch keine Parteien, aber Vorformen dazu. Der politische Katholizismus, prägend für unser Land bis heute, macht seine ersten Stemmübungen. Die Publizistik, als Organ und Former einer öffentlichen Diskussion und Meinung, befreit sich aus der Gängelung. Und die ersten Vorboten von sozialen und sozialdemokratischen Regungen machen sich bemerkbar.

Im Wesentlichen handelt dieses Buch von den elf Männern, die von niederbayerischen Wählern 1848 in die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt geschickt wurden. Sie waren alle – bis auf einen – stramm konservativ, der Monarchie ergeben und standen ihrer Kirche nahe.

Im Anhang ist im Überblick ersichtlich, wer diese Männer waren und von welchen Wahlkreisen sie entsandt wurden. Zu den in den neun niederbayerischen Wahlkreisen Gewählten kommen zwei Nachrücker, so dass die Gesamtzahl niederbayerischer Volksvertreter auf 11 anwächst. Daneben begegnen uns einige andere Politiker, die in Niederbayern eine wichtige Rolle spielten.

Es wird dargestellt, wie sich Wahlen in Niederbayern abspielten und wie sich die niederbayerischen Abgeordneten zu Schicksalsfragen der sich bildenden Nation stellten: zur Verfassung, zum Gegensatz zwischen Preußen und Österreich, zum Verhältnis von Staat und Kirche.

Daneben wird immer wieder sichtbar, dass sich die Bayern bei der Annäherung an die deutsche Nation schwerer tun als andere Stämme. Dafür liefert die Geschichte zahlreiche Beispiele. Man erinnert sich, dass Bayern 1949 als einziges Bundesland unsere geltende Verfassung, das Grundgesetz, ablehnte. Es gibt aber auch signifikante Belege aus der Gegenwart.

Dem Schwandorfer Musiker und Komponisten Konrad Max Kunz (1812 bis 1875) verdanken wir nach einem Text des Lehrers Michael Öchsner ein populäres Lied, das seit vielen Jahren als bayerische Nationalhymne gilt. Seine erste Zeile lautet im Original: Gott mit Dir, Du Land der Bayern, deutsche Erde, Heimatland. Bayerischen Superpatrioten ist dieser Text bis heute ein Dorn im Auge. Unbeirrt fordern sie einen anderen Text und singen statt von deutscher lieber von Heimaterde.

Auch das gespaltene Verhältnis vieler Bayern zu Deutschland im Vorfeld der Reichsgründung wird in den folgenden Kapiteln beleuchtet.

Bei der Transkription von Dokumenten und Schriften aus der Zeit bediene ich mich der heutigen Schreibweise. Neben der im Anhang aufgelisteten einschlägigen Literatur habe ich in den Staatsarchiven von München und Landshut interessante unveröffentlichte Quellen erschließen können, auf die im Rahmen des Textes verwiesen wird. Weitere wichtige Quellen sind das Intelligenzblatt für Niederbayern, das damalige Amtsblatt der Bezirksregierung in Landshut und die in neun Bänden überlieferten (und inzwischen als Nachdruck erhältlichen) Stenographischen Berichte über die Verhandlungen der Nationalversammlung in Frankfurt.

Niederbayern wird von der bayerischen Geschichtswissenschaft eher stiefmütterlich behandelt. Es gilt als ein Hort der wirtschaftlichen und staatsbürgerlichen Kontinuität, der Verlässlichkeit, Gelassenheit, Unaufgeregtheit. Bis heute liegt in Niederbayern der Landkreis mit den höchsten Einspielquoten für die immerwährende bayerische Staats- und Regierungspartei.

Natürlich sind Lebendigkeit, Vielseitigkeit, Wandlungsfähigkeit und Multikulturalität in Niederbayern nur unwesentlich geringer als anderswo. Allerdings wird weniger darüber geredet. Wer neben Geschichtsträchtigkeit, Kulturlandschaft und Radwanderwegen auch Aufbruch, Protest, kreative Artikulation in Wort und Bild sucht, findet sie hier ebenso wie anderswo. Um solchen Aufbrüchen nachzugehen, betrieb ich einige Jahre lang mit Freunden – in Erinnerung an die unangepassten Pfaffenberger Brüder Ludwig und Karl Gandorfer – einen Gandorfer-Kreis zur Pflege alternativer Heimatkunde. Als ich einem in konventioneller Heimatforschung verdienten Rotttaler Schulmann meine Aufwartung machte, ließ der zwar seine Frau Kaffee und Kuchen auffahren, fügte aber bedauernd hinzu: „Dea Hea do intressiead si fia Heimatg’schichte. Oba ea is koana fo uns.“

Bewahrung und Wertschätzung des Eigenen? Durchaus. Vorurteile gegenüber dem Fremden? Im ewigen Durchmarsch- und Flüchtlingsland Niederbayern? Nicht mehr als anderswo. In einem Hof oberhalb von Tann erzählte mir der Altbauer, wie er 1945 als Fahrer eines flüchtenden ungarischen Militärtransporters in dem von Bäumen beschirmten Bereich eines von Männern entblößten Gehöfts vor Tieffliegern Schutz gesucht habe und dort anschließend für den Rest seines Lebens hängen geblieben war. Sein staatstragender Sohn mit einem unverwechselbar ungarischen Nachnamen leitet heute ein niederbayerisches Gymnasium.

Ich selber war, gewißermassen als Stadtflüchtling, über zwanzig Jahre in Niederbayern ansässig und betrieb dort mit meiner Familie eine Nebenerwerbslandwirtschaft mit Pferdehaltung. Erst als die Kinder aus dem Haus waren und mein körperlicher Zustand mir die Wald-, Wiesen- und Tierpflege erschwerte, kehrte ich ungern und murrend in die Stadt zurück.

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