Margret Hölle: Blöiht a Dornbusch

Gedichte, 1997, 12 Illustrationen von E. Hölle und einem Nachwort von R. Wittmann, 64 S., Broschur, 9,10 Euro, ISBN 978-3-929517-20-5

Mundartgedichte der gebürtigen Oberpfälzerin Margret Hölle

9,10 €

Inhalt.

Margret Hölle, 1927 in Neumarkt (Oberpfalz) geboren; kaufmännische Lehre, Ausbildung und Examen (1948) an der Deutschen Schauspielschule in München; ausgedehnte Tourneetheatertätigkeit, viele Jahre lang Sprecherin beim Bayerischen Rundfunk. 1990 Kulturpreis der Stadt Neumarkt, 1996 Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Die Autorin lebt in München.


Schwoaza Vugl

D Fensta han zou gwen
da Riegl vir
wou bist einakumma

spitzmaulad
broadhoggad houst gwart
mit dein naschn Gschau

aaframoi
houst de aafbludat
umma größa bist woan

d Luft is
unta deine Fliegl gschlofa
und furt bist gwen

owa öiz is draß
a Vugl aafgflung
weißgfiedat


In Haus

In Haus is a bittara Gschmooch
iwa Stöing wachsn Brennessln
Dooch fir Dooch
mou e affe
mou e oiche

schau e
schau e vire
schau e nouch
schau e

siahre woudrawöill
siah de niad _
siah de nemma


D Söil

D Söil
göiht aas dera Wöild
ins grousse Löicht

öiamoi
köihats wieda zrugg
stroift a jeds Ding
bleibt a weng

du mirgst
wenns dougwen is
d Virhang ziddan nu
und höille Büdla
malt da Dooch


Zeitvugl

Stöiht d Zeit in da Luft
houchaafgricht wöi a Vugl
flöigt niad weida
stöiht in da Luft
wöi wenn dou a Nest waa

wöi wenn a Bleim waa
stöiht d Zeit in da Luft

owa niad lang
wöi wenn nix gwen waa
spreizn se Fliegl
Vugl und Zeit flöing weida


Mei Sprouch

Mei Sprouch
is mei Haus

mache Tir aaf
wern d Finga woam

schmeichlt a Gschmooch
vu Salwei Öpfö und Nüss

blöiht a Dornbusch am Herd
blöiht iwa

treibt durch d Wänd
durch d Degga iwas Dooch

schlagt d Zweich iwaranand
Rousn und Dorn

wöi
zwoa Händ wou se kenna


Laudatio von Reinhard Wittmann anläßlich der Verleihung des Friedrich-Baur-Preises für Literatur 1996 an Margret Hölle

"Ein wüstes, rauhes Land, der Faunen Aufenthalt;
Wo kein gesittet Volk in schönen Städten hauset,
Wo, statt der Musen, Pan auf heisern Röhren brauset.
Apollo wich mit Fleiß aus dieser frechen Flur,
Warum? sie wieß ihm nicht die Schönheit der Natur.
Sie ist der Schreibart gleich, die von den Alpen stammet,
Rau, höckricht, hart und steif, wie er sie stets verdammet."

Fast 250 Jahre alt ist dieses harsche Verdikt der Oberpfälzer Landschaft und Sprache _ der Literaturpapst der sächsischen Aufklärung, Johann Christoph Gottsched, hat mit seinen ledernen Reimen ein Vorurteil formuliert, das bis heute weithin fröhliche Urständ feiert. Doch wie bei allen Klischees steckt auch in diesem ein Körnlein Wahrheit. Die literarische Landschaft Oberpfalz ist zumindest auf den ersten Blick ähnlich karg und herb wie die geographische - und so mag es manchem Beobachter befremdlich erscheinen, daß nach Harald Grill heute hier im Fürstensaal der Residenz Würzburg, in diesem Herzstück sinnenfroher mainfränkischer Barockarchitektur, erneut eine Oberpfälzerin für ihr lyrisches Schaffen ausgezeichnet wird.

Auch ich selbst als dezidierter Südbayer halte diese Ehrung für eine nordbayerische Provokation - eine sehr notwendige freilich. Denn südlich der Donau wird die bairische Mundart von ebenso biedersinnigen wie geschäftstüchtigen Poeten aufs schnödeste genotzüchtigt, deren Reimereien das tümelnde verbale Pendant zum Musikantenstadl darstellen. Deshalb entsteht bairische Mundartdichtung von Rang heute ausschließlich an den Rändern unseres Dialektraumes: so im Werdenfels die Texte von Hannes Seufferth, im Nordosten jene von Harald Grill und eben Margret Hölle. Respekt und Dank gilt deshalb den Juroren der Friedrich-Baur-Stiftung, die dies erkannt und gewürdigt haben.

Mit den geschäftigen Verserlschreibern hat Margret Hölle nichts gemein. Ihr Lebensweg ist ein sehr oberpfälzischer, ohne schroffe Extreme, unauffällig, doch geprägt von sanfter Beharrlichkeit. Aufgewachsen ist sie in dem, was man "einfache Verhältnisse" nennt: Der Vater war (wie jener Johann Andreas Schmellers) eine Zeitlang Kürbenzäuner, später Fuhrmann im Dienst des Fleckens Neumarkt (seine Rösser hatten in jenem Stadel Quartier, in dem die Tochter 1990 den Kulturpreis der Stadt empfing). Die poetische Menschwerdung des Kindes geschieht in der und durch die heimatliche Natur - im "Huiz", wo der Vater arbeitet und die Mutter Beeren und Reiser sammelt, wo sie als Kind in der Kürben schlummert und beim Erwachen unter dem Blätterdach ihr "erstes Ahnen des Göttlichen in der Natur" fühlt. Hier hat sie zeitlebens ihr "Wurzelherz": "Ich singe dir / Wald / grüner Fächer / tausendarmiger Gott / (...) liebkose mich / denn mit meinen Wurzeln / bin ich in dir".

Doch schon mit zwölf Jahren muß das Naturkind neben der Schule (zunächst für eine Mark im Monat) als Hausmadl arbeiten. Sie versucht die bedrückende Enge der Kriegsjahre in der Kleinstadt nicht nur beim Sonntagnachmittagskino zu vergessen, sondern erschließt sich, anfangs unbeholfen, eine poetische Gegenwelt: verschlingt Kalendergeschichten, schneidet sich Artikel aus dem Provinzblatt, entleiht beherzt aus der Stadtbücherei dreimal den "Faust" - "wie eine Henne, die jedes Korn zusammenpickt", ja versucht sich an braven Gedichten. Mit dem "Kaufmannsgehilfenbrief" scheint 1945 der provinzielle Lebensweg vorgezeichnet.
Aber die Oberpfälzerin ist "vu durd / wou ma / ansa Junga furdgöihd // I bi vu durd / wou ma sei Wurzelhirz / midnimmd / wou mas aapflanzt / unda da Sunn / vu durd und vu dou". Sie nimmt Abschied, schlägt sich unerschütterlich zäh durch die chaotischen Nachkriegsjahre, macht ihre Faszination durch das gesprochene Wort zum Beruf. Nach erstem Unterricht in Nürnberg tingelt sie 1946-47 mit dem striesigen Regensburger Tourneetheater "Lipps lustige Bühne" durch die fränkischen Dörfer, erlangt schließlich bei der "Deutschen Schauspielschule" in München 1948 die "Bühnenreife". Aber kaum am Ziel ihrer Wünsche, gibt sie diesen Lebensentwurf wieder preis: Margarete Sträußl heiratet 1950 den Grafiker und Illustrator Erich Hölle und gründet eine Familie. Sie tritt wie selbstverständlich um der Verantwortung für die ihr Anvertrauten willen zurück in die unauffällige Existenz als Gattin eines sensiblen Künstlers, als Mutter. Sie arbeitet daneben als Sprecherin für Kinder- und Schulfunksendungen beim Bayerischen Rundfunk.

Fast dreißig Jahre ist sie alt, lange schon von der Sprachheimat getrennt, als ihr, wie sie schreibt, "1956 das erste Mundartgedicht geradezu passiert. Ich bin erschrocken und war zugleich glücklich. Die harte und kantige Sprache, die mich da eingeholt hat, war der Ausdruck eines geschundenen, geplagten, benachteiligten, ausgebeuteten Landstrichs und Menschenschlags. Ich mußte ans Licht bringen, was lange abgeschottet war." Nur zögerlich, ja skrupulös entstehen weitere Gedichte, oft während schwieriger biographischer Augenblicke. Es dauert nicht weniger als zwanzig Jahre, bis 1976 ein erster schmaler Band eines kleinen Mainburger Verlages ihre Produktion sammelt, unter dem sehr oberpfälzerischen Titel: "A weng wos is aa vüi". Der eigenwillige Ton macht auf die strikte Einzelgängerin aufmerksam, die Turmschreiber melden sich irrtümlicherweise, sie paßt trefflich als Farbtupfer in regionale Anthologien, liest bei Mundarttagen und gelangt gar in Schulbücher. 1981 erscheint ein zweites Bändchen ("Iwa Jauha und Dooch") beim unvergessenen Friedl Brehm, dem Herbergsvater der kritischen Dialektliteratur. Erst 1991 legt sie das dritte vor: "Wurzelherz", gleichsam als Gesamtausgabe, jetzt wieder aufgelegt. Ein sehr schmales Oeuvre also, könnte man meinen. Aber welch ein dichterischer Reichtum, welch eine poetische Kraft, welch eine Sprachmelodie!

Ob Marieluise Fleißer oder Lena Christ, Mechtilde Lichnowsky oder Annette Kolb, ja auch Emerenz Meier - die großen Dichterinnen Altbayerns sind allesamt epische oder dramatische Talente. Als eine originär lyrische und zugleich originär mundartliche Begabung ist Margret Hölle gänzlich einzigartig. Nirgendwo erblüht das Oberpfälzische so farbig zur Literatursprache wie in ihren Gedichten. Gegen diesen verzaubernden Ton verblaßt für mich, ich gestehe es freimütig, ihre hochdeutsche Lyrik, die der Privatdruck ,,unterwegs" gesammelt hat. Auch sie selbst hat erkannt: "Zunga wird bölzi / in da fremdn Sprouch".

Eduard Fentsch hat 1863 behauptet, die Sprache der Oberpfälzer huldige "unbewußt dem Grundsatze, daß die Worte da sind, um die Gedanken zu verbergen." Angesichts der jahrhundertelangen Geringschätzung der Region, ihrer Menschen und ihrer Eigenart von Seiten der Herrschenden und der privilegierteren südlichen Stiefbrüder könnte dies nicht verwundern. Tatsächlich ist dieses unverdorbene, erdig-schwere Idiom, das ein Setzer der Bayerischen Staatszeitung anläßlich einer Hölle-Rezension unfreiwillig präzise als "Opferpfälzisch" erkannt hat, untauglich für die zynische Kommerzialisierung des Komödienstadl-Oberbayerischen. Das archaische Melos dieses Dialektes verbindet die kantige Kargheit der Konsonanten mit den klangvollen Kaskaden der berüchtigten gestürzten Diphtonge, ja Triphtonge wie ou, öi, äi, oua. Margret Hölle verfügt souverän über alle Valeurs dieser Sprache. Dabei kommt ihr die jahrzehntelange Erfahrung als Funksprecherin zugute, ihr traumwandlerisch sicheres Gespür für Klangfarben, für Satzbögen, für Versmelodien. Nicht umsonst sind einige ihrer Gedichte auch vertont worden.

Wir glauben zu wissen, daß das thematische Spektrum der Mundart recht begrenzt ist. Aber Margret Hölle belehrt, nein: beglückt uns eines Besseren. Beim abgestandenen Genre der gereimten Dorfanekdoten übt sie Zurückhaltung, doch ihre Naturgedichte, ihre Huldigungen an die Jahreszeiten, an Wind und Schnee, an Holz und Holler faszinieren durch ihre kühne Bildlichkeit ebenso wie durch ihre strenge, an Haikus erinnernde Verdichtung. Ihren fröhlichen Kinderreimen und den schwermütigen Wiegenliedern wie "A Moil singt" oder "Da schwoazze Drummla" gelingt das Schwerste: sie klingen, als seien sie vor dreihundert Jahren entstanden und durch Generationen weitergetragen worden. Sie stehen gleichrangig neben den alten anonymen Volksliedern (wie dem wuchtigen "N'tout'n Hritta sa Spoziahritt" oder "S'eascht Ausblos'n"). Zuweilen läßt sie ihre Mundart fröhlich schmatzen wie ein Bacherl, läßt sie in lautmalerischem Übermut so ausgelassen hüpfen, daß es die Hochsprache ist, die daneben lächerlich plump, eckig, preußisch-hölzern kling: man stelle sich "Lus wäi da Wind gäiht!" vor als "Hör doch mal, wie der Wind pfeift!" Und wenn sie ihre Sanftheit ablegt, um für die geschundene Natur Gerechtigkeit einzufordern, um in lapidarer Lakonie anzuklagen, dann gemahnt ein Text wie "Owa da Hümmö wird sa" an das Wessobrunner Gebet.

Daß dieses lyrische Werk noch für Überraschungen gut ist, zeigen die jüngsten Gedichte, die sich mit dem Tod des Lebensgefährten auseinandersetzen. Der Zyklus bannt Schmerz und Abschied, Vergänglichkeit und Ewigkeit in Bilder von holzschnitthafter Eindringlichkeit und Schlichtheit: "Wöi wenn a Bleim waa / stöiht d Zeit in da Luft".

Es ist zu Recht verpönt, das lyrische Ich mit der Dichterin gleichzusetzen. Aber wer Margret Hölle kennt, für den ist die Versuchung groß, bei beiden den in aller Bescheidenheit trotzigen Willen zur Selbstbehauptung zu finden, die illusionslos tapfere Lebensklugheit, den verschmitzten, auch grimmigen Humor, die zärtliche Schwermut, die mitleidende Geduld. Beide gleichen dem weichen Wasser, das getreu dem sanften Gesetz Stifters den harten Stein besiegt.

Margret Hölle verklärt keineswegs den heimischen Menschenschlag, durch dessen Verbitterung und Härte "böise gröispanade Werta (...) aas de hoggadn Haisa" zu Steinen auf den Feldern werden. Sie verweigert sich jeder nostalgischen Heimatverklärung: "I nimms assanand / des bärbeißade / wundasame Hollablöigfüihl // I zallegs / wöigs / schmeggs bis d Aungöpfö brenna". Aber mit ihrem lyrischen Lebenswerk gibt Margret Hölle den Menschen der Oberpfalz, die sich generationenlang geduckt haben, ihre Sprache und damit ihre Würde, ja ihre Identität zurück: "Mei Sprouch / is mei Haus / Mache Tir aaf / wern d Finga woam". Uns aber werden nicht nur die Finger, sondern das Herz warm, wenn wir ihre Gedichte lesen.

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