3. Preis: Maria Magdalena Rabl

Mit dem 3. Preis beim Kurzgeschichtenwettbewerb "Mehr Licht!" zum 30-jährigen Jubiläum der lichtung verlag GmbH im Jahr 2020 wurde der Text "Schatten bei Licht betrachtet" von Maria Magdalena Rabl ausgezeichnet.

Ein Text mit einem Rätsel, das nicht preisgegeben wird: Die Hauptfigur von Maria Magdalena Rabl äußert sich dem Leser im Bewusstseinsstrom und bleibt doch die ganze Geschichte über mysteriös und im Dunkeln. Sie ist ein Griesgram, das im Schatten lebt und sich nach Licht sehnt; Angst, Neid und Missgunst verwehren aber positive Erfahrungen. Auch manch irritierendes Sprachbild kann schnell vom Hellen ins Düstere umschlagen.

Maria Magdalena Rabl (Jahrgang 1976) machte eine Schauspielausbildung an der London Academy of Music and Dramatic Art (LAMDA). Von 2006 bis 2010 war sie Mitglied des Schauspielensembles des Landestheaters Niederbayern. Jetzt lebt sie als freie Schauspielerin, Autorin, Sängerin und Sprecherin in München. Den lichtung-Lesern ist sie keine Unbekannte: Im Verlag ist bereits ihr Gedichtband "Das erzähl ich jetzt keinem" erschienen.

Schatten bei Licht betrachtet

von Maria Magdalena Rabl

Die Kinder haben mir den Morgen gestohlen. Er leuchtet in ihren Gesichtern, auf den Nasenspitzen. Spielt auf ihren bettzerzausten Haaren. Mir bleibt der Schatten in der Tür. Ich warte dort auf den Moment, in dem ich mir den Morgen greifen kann, ohne erwischt zu werden, in dem ich einen Funken erhaschen kann, ohne selbst zu leuchten. Denn das Licht würde sich in die Falten meiner Fehler legen, würde mich so zeigen, wie ich es verdiene.

Gerade deshalb gehören alle Morgen mir, sind sie für mich Momente klarer Stille ohne die verzerrte Not der Nacht. Morgens kriecht das Licht gnädig in mein Bewusstsein. Langsam. Gibt mir die Chance wieder Mensch zu werden. Und nun gestohlen von den Kindern. Dieser Morgen, dessen weiche, milchwarme Helligkeit mir hier im Schatten Löcher in den Magen schlägt. Mein Neid.

Dieses Licht gehört zu mir! Aber die Kinder haben es mir genommen. Sie sind zu früh aus ihren Zimmern gekrochen und tummeln sich. Und saugen es auf. Funkeln mit ihren blonden Locken. Und ich düstere vor mich hin. Stehe im Türrahmen und komme keinen Schritt voran. Auch keinen zurück. Der Neid zieht nach vorne. Die Angst nach hinten. Und ich dazwischen wie ein dunkler Klumpen. Gemein und nicht gehörig.

Finger brechen will ich, meine, ihre, diesen Lichtgestalten. Will ihnen meine Düsternis antun, ihnen so das Licht nehmen, wie sie mir meinen Morgen stehlen. Und es noch nicht mal wissen.

Neid ist ein hässlich formidables Ding. Er jagt und lässt uns jagen, uns tun, was uns vermeintlich weiterbringt. Erstreben, was uns vermeintlich besser macht. Als. Die. Anderen.

Das ist der kleine feine Unterschied. Weil ob es uns entspricht, dem Kern der eigenen Wahrheit? Das spürt man im Erstreben nicht. Erst hinterher fühlt sich der Sieg nicht hell, sondern seltsam erkauft an. Aus Neid die Dinge tun und nicht aus Freude, das hatte mir den Schatten eingebrockt. Und nun stehe ich hier und blicke brennend aus der Düsternis ins Licht.

Ich hatte mich gefreut auf diesen Morgen. Ich hatte mich gefreut, den Morgen ganz für mich zu haben. Früh. Die Sonne ganz alleine aufgehen zu sehen. Nur für mich. Und Stück für Stück hätte ich sie dann dazu gelassen, die kleinen Herzensbrecher.
Aber nicht so. Nicht vor mir. Nicht alle auf einmal. Eines lacht gerade einem Staubkorn hinterher, das sich vom warmen Atem getragen in die Lüfte schwingt. Staub im Licht ist schön. Dem rechten Maß an Licht. Wunderschön. Bezaubernd. Zuviel von beidem und man droht zu ersticken.

Ich will Finger brechen immer noch. Ein Etwas in den Schatten werfen. Darauf treten und größer werden. Um mich dann nach einem Wimpernschlag des Jubelns bis in alle Ewigkeit zu schämen. Die Angst davor hält mich zurück. Und erinnert mich, dass ich noch nicht mal einen Fuß mehr heben kann.

Ohne Angst ist wohl kein Überlegen in der Welt. Kein Abwägen, kein Hin und Her und alles erst betrachten, bevor man seine Schritte tut. Aber zu viel der Angst und wir werden blind. Wie von zu viel Licht geblendet, straucheln wir und schlagen um uns, sehen die Hand nicht mehr vor Augen, den Weg nicht mehr, den nächsten Schritt. Sehen nur die Folgen dessen, was wir längst getan und nicht mehr ungeschehen machen können. Ungesehen. Wenn ein Sehender was Blindes tut, sind die Folgen für alle voller Schrecken. Oder sehenden Auges einen Schrecken tut. Auch dann.

Das rechte Maß. Ein wenig Angst, nicht zu viel Licht. Ein Morgen eben. Nicht wissen, was der Tag noch bringen mag. Vorsichtig die Augen öffnen. Sehen wollen. Aber doch nicht alles. Hoffen und Fürchten in Maßen. Finger brechen wollen. Finger brechen wollen. Und dann doch im Schatten bleiben, atmen. Tief. Und müde oder tapfer auch die eigene Hand am Herzen abstützen.

Wieder ein Juchzen. Die Kinder leuchten, wie sie diesen meinen Morgen in sich aufsaugen. Noch einmal Kind sein. Endlich wieder unbedarft.

Die Angst hatte mich schon, da war ich keine vier. Die Scham kam wenig später. Und der Neid? Kam mit der Angst, dem Wissen, dass mir etwas genommen werden konnte, was doch unabdingbar mein sein sollte. Die Liebe. Und schon hatte man mich an den Rand des Lichts geschoben, war ich ein "Unter ferner liefen oder standen hier noch dies und das", die nur mehr auffiel, wenn sie sich trotz Scham ins Licht warf. Oder Finger brach.

Ein Leben lang. Das jetzt nur mehr ein Funkenregen von Momenten ist. Von Freude. Zaudern. Und von Furcht. Von Furcht vor Fehlern und dem Fehlen dessen, was mir so gewohnt war. Von Verlust. Und dieser viel zu großen Angst vor dem Loslassen. Denn der Akt an sich ist leicht. Ein kleines Öffnen der Hand und schon darf fallen, was da fallen will. Gehen, was nicht mehr zu mir gehört. Weil ich die Schwerkraft habe. Dieses große, unsichtbare Immerda, das mich noch am Boden hält und aus Schweben Zauber macht. So wie der Staub an diesem Morgen durch den Himmel steibt. Sterbt. Strebt? Manche Worte fallen mir aus meiner Hand schon. Wollen losgelassen werden. Wie Spucke. Kleine Tropfen, die nicht bei mir bleiben wollen.

Aber den Morgen, den will ich noch halten. Um den habe ich fest die Finger gekrümmt. Durch die mir diese kleinen Herzensbrecher heute geschlüpft sind. Ich werde wohl weitlässig. Dünnmaschig. Nachhäutig? Und staune einem Staubkorn hinterher, dass sich aus meinem Schatten stiehlt.

Eines der Kinder hat mich nun entdeckt, wie ich so unachtsam die Augen nach dem Staubkorn hebe. Und schiebt mich nach vorne aus dem Türstock in das milchig warme Weiß des Morgens. Meines Morgens. Den sie mir gestohlen haben.

Finger brechen. Denke ich. Aber etwas sagen, mich bewegen kann ich nicht.

Sie fürchten mich nicht, die kleinen Herzensbrecher. Das Licht, das mir so nichts vergibt, und dabei alles besser macht, ist ihnen gleich. Sie kennen mich. Sind unbedarft und in der Überzahl. Weil mir ein Blitzmoment von zu viel Licht ja längst die Zunge gelähmt und jedes böse Wort verboten hat. Nun, die Gedanken sind frei. Ich darf noch wünschen, hoffen, fürchten, hassen. Aber in Worte fassen, kann ich nichts davon. Jedes zu sprechende Wort fällt mir aus der Hand. Ist längst schon losgelassen von der Macht, die ich erst recht nicht fassen kann.

Nicht halten können. Loslassen also. Ständig. Immer. Wie Spucke. Die mir auf die Schürze tropft.

Die Kinder wissen nicht, was ich nicht sagen kann, weil es mir aus der Hand gefallen ist. Aber sie sprechen für mich, reden doppelt, dreifach, rufen über- und auch durcheinander. Manchmal ahnen sie etwas von meinem Neid und wenn ich unachtsam im Schatten mich entdecken lasse, wie eben jetzt, so ziehen sie mich ins Licht. In meinen Neid hinein. Der ihnen nur ein vager Hauch Verstimmung ist. Und wenn ich die Augen dann geblendet schließen muss und mir ein Lächeln in die Hand fällt, weil ich nicht an mich halten kann, lachen sie mit. Sie wissen nicht, dass sie mir meinen Morgen stehlen. Wissen nicht, dass dieser Morgen mir gehört. Aber sie teilen gern.

lichtung verlag GmbH
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